13.01. – 17.02. 14

Abschied und Neuanfang

Folge 11 / 52
Schließen

Kommentare einschalten

Folge 11 Abschied und Neuanfang

Ich habe drei Wochen auf dem Land verbracht, gearbeitet und durchgeatmet. Gemeinsam mit der Redaktion und der Produktion habe ich mich entschieden, aus dem Projekt auszusteigen. Jetzt bin ich zurück nach Tel-Aviv gereist, um die letzten Angelegenheiten zu klären.

Das ist mir also passiert: Ich will eine Film-Pause einlegen. Draußen auf dem Land auf einer Farm arbeiten. Bin zufällig in der Westbank gelandet. Hier will ich mir darüber klar werden, wie und ob ich mit der ganzen Sache weitermache. Ob ich weiterreisen will. Neue Kraft schöpfen. 

Über eine WOOF-Internetseite hab ich Rotem angeschrieben - die Gemeinde hat gleich geantwortet und mich als Freiwilligen eingeladen. Auf der Karte konnte ich den winzigen Ort nicht finden, wusste nur, dass es irgendwo im Jordantal nahe der israelisch-jordanischen Grenze sein muss. Raus in die Wüste. Bei der Ankunft: ein umzäuntes Dorf, Soldaten stehen Wache. Meine Karte sagt, dass ich mich auf palästinensischem Territorium bewege. Mir wird ein bisschen mulmig.

Die Leute hier sind offen. Und bald traue ich mich auch, unangenehmere Fragen zu stellen. In der Westbank gibt es einen Flickenteppich von Verwaltungsgebieten, teilweise nur israelische Armee-Administration wie hier. Teilweise israelische Kontrolle, palästinensische Autonomiegebiete, oder sogar geteilte Verantwortung. Heißt das also, wenn ich hier helfe ein Haus zu bauen - und das tue ich die nächsten Tage - , dass ich beim israelischen Siedlungsbau mithelfe. Beim Siedlungsbau, gegen den die Palästinenser kämpfen? Den auch die Europäische Union, die USA und die Vereinten Nationen immer wieder als Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilen? Beim Siedlungsbau, der einer der größten Steine auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten ist?

Viele Menschen hier sind sehr religiös. Viele auch nicht. »Fanatisch« oder »extremistisch« sieht allerdings keiner aus. Natürlich spreche ich mit vielen. Sie alle wollen Frieden, ein Zuhause und Familie. Viele, viele Kinder springen herum. Ich frage, ob es denn Kontakt zu Arabern oder Beduinen auf der anderen Seite der Zäune und Wachposten gibt? Nein. Gegenseitiges Misstrauen. Immer wieder frage ich, ob es überhaupt irgendeinen Kontakt zu Arabern gibt? Nur selten ist die Antwort ja.


Abends Patrouillen von Dorfbewohnern mit Maschinenpistolen. Die Israel Air Force fliegt auch tagsüber Manöver mit Kampfflugzeugen. Gefühlte zwei Meter fliegen die Maschinen über unsere Köpfe und durchbrechen spielend die Schallmauer. Viele erklären mir, dass sie die Zäune und die Armee nicht mehr wollen.

Die Menschen in Rotem sind eine richtige Gemeinschaft. Vieles kann ich nicht anders als unfassbar schön und berührend beschreiben. Shabbat und die Gesänge. Gemeinsam Bäume pflanzen. Immer wieder singen und tanzen. Eine Beschneidung mit Grillfest. Natürlich gehöre ich nicht dazu. Und komme doch schon, nach nur so wenigen Tagen, sehr nahe.


Ich will einen Film über das Dorf machen. Zeigen, wie es hier aussieht. Wie es sich anfühlt an diesem Ort zu sein, für mich, der kurze Besucher, mit all seinen Fragen. Weil ich keine Ahnung habe, wie sich das Leben hier anfühlt. Wie es ist, Israeli oder Jude zu sein inmitten eines umkämpften Landes.


Ich weiß von der Geschichte. Ich weiß vom Konflikt. Aber was die Menschen hier denken: Keine Ahnung. Langsam bekomme ich einen ersten Schimmer von alldem. Begreife, wie schnell ich mir ein Bild mache, und denke, irgendetwas Sinnvolles dazu sagen zu können. Meine Ignoranz wird auf eine harte Probe gestellt.

Tagsüber bis drei Uhr nachmittags arbeite ich auf der Baustelle und helfe, ein Lehmhaus zu bauen. Immer wieder merke ich, dass viele meiner Fragen vielleicht nichts mit dem Leben der Leute hier zu tun haben. Zu Abend bei jemandem zum Essen zu Gast. Der Gastgeber sagt mir, dass es doch unmöglich sei, dass ich nach einer Woche hier irgendetwas sagen könne. Dass es vollkommen anders ist, Israeli und Jude zu sein. Jeder, fast jeder, geht für mehrere Jahre zur Armee, das ist Pflicht. Dass man hier zur Welt kommt und sofort Feinde habe. Dass der Einfluss auf die Psyche groß sei, nicht einmal drei Stunden mit dem Auto fahren zu können, ohne an eine Grenze zu kommen, wo gegenüber der Feinde sitzt. Dass sie überall überlegen müssen, ob sie hebräisch sprechen sollen. Fast nirgendwo im Ausland die Kippa tragen können.

Wie anders ihr Leben hier ist, wird mir durch tausend kleine Details klar. Es ist sehr spannend, auf Leute zu treffen, und keine Ahnung zu haben, wie sie ticken. Im Gespräch mit einem anderen Bewohner hier - sehr offen, sehr lustig - frage ich ihn, wie er sich selber sieht? Seine Antwort : »I am a soldier of god«. Auf eine Art, dass ich nicht weiß, ob er Ernst oder Spaß macht. Oder vielleicht eine ganz andere Beziehung zum Wort »Soldat« oder »Gott« hat als ich.


Ich bemerke meine tiefliegende Skepsis gegenüber jeder Form von Militarismus, Fanatismus, Religiösität, aber auch gegenüber sehr engen Gemeinschaften. Schon seltsam genug, das in einem Atemzug zu nennen. Der Glaube und die Gemeinschaft in Rotem beeindrucken mich dennoch tief. Und ich spüre, dass ich mich sehr nach diesem Zusammenhalt sehne. Die Menschen hier sind Freunde, sie sind ernst und lustig, entspannt. Und wie mir scheint, sehr ehrlich. Jeder kennt jeden.

Kurz vor meiner Ankunft eine Geburt. Der Vater hat seiner Frau ganz allein bei der Geburt geholfen.


Schwierig irgendetwas zu sagen. Bei der Arbeit mache ich das Radio an und höre einen arabischen Sender. Der Israeli neben mir sagt: »Don´t you hear? This is an arabic station?« Aber dann lacht er, und ich weiß nicht, ob es ihn wirklich stört. Ich lasse den Sender noch ein bisschen laufen - dann doch lieber zurück zum israelischen Sender.


Mich machen die kleinen Dinge hier glücklich: die netten Menschen, die Natur, die körperliche Arbeit, das Essen, die Kinder, das Singen.

Die großen Themen und Zusammenhänge beunruhigen mich- und deswegen gibt es diesen Text mit vielen losen Enden.